Antrag 6 / Schulsozialarbeit an den Wiener Pflichtschulen ausbauen - Wenig Personal und fehlende Strukturen gefährden Umsetzung in die Praxis

zur 153. Vollversammlung der AK-Wien am 28. Juni 2010

Antrag zugewiesen (Ausschuss f. Bildung u. Kultur)

ÖAAB, GA, Persp., GLB, Türkis, Kom., BDFA: ja

FSG, FA, BM: für Zuweisung

Antragsbearbeitung

 

Die 153. Vollversammlung der Wiener Arbeiterkammer fordert:

• Keine kurzfristigen Projekte der Schulsozialarbeit mehr, sondern Auswertung der Evaluierungen der bereits existierenden oder abgelaufenen Projekte und darauf aufbauend ein Gesamtkonzept für die Schulen Wiens.

• Mehr Personal bzw. mehr Stunden für die Umsetzung des präventiven Modells der Schulsozialarbeit an den Schulen Wiens: Nur durch ausreichende Präsenz in der Schule kann der präventive Ansatz umgesetzt werden. Nur so ist es möglich, der primäre Zielgruppe – den SchülerInnen – zu ermöglichen, niederschwellig mit den Angeboten der Schulsozialarbeit in Kontakt treten zu können. Durch Sprechstunden an Schulen kann dies nicht gewährleistet werden. Dies würde der Erfahrung nach eine Verschiebung des Angebotsystems in Richtung LehrerInnen und Eltern bedeuten.


• Mehr Personal, um Teams von zumindest 2 Personen, weiblich & männlich gewährleisten zu können: Gerade in prekären und/oder sehr persönlichen Situationen, in denen es gilt, sich Unterstützung zu holen, ist es wichtig, gleichgeschlechtliche SchulsozialarbeiterInnen ansprechen zu können. Aber auch allgemein wäre es sinnvoll, zumindest zwischen zwei Ansprechpersonen wählen zu können. Ebenso wären 2er Teams für die SchulsozialarbeiterInnen selbst von Vorteil, da laufender Austausch und Reflexion in der Sozialarbeit unabdingbar sind.

• Professionelle Strukturen für Schulsozialarbeit müssen geschaffen werden. Eine Eingliederung der in der Schulsozialarbeit Tätigen in das System Schule hinsichtlich der Entlohnung, des Kollektivvertrags und auch der Hierarchie muss dringendst hinterfragt werden. Eine sich dadurch ergebende Weisungsgebundenheit an den Stadtschulrat führt notwendiger Weise zu einem Interessenskonflikt. Die Einrichtung einer sozialarbeiterischen Fachaufsicht, eines Beirates oder ähnliches ist einzufordern.



Anfang dieses Jahres startete der Stadtschulrat Wien Schulsozialarbeit an den Pflichtschulen mit nur 19 SozialarbeiterInnen. Der Begriff Schulsozialarbeit wird allgemein als Oberbegriff verwendet, der alle Aktivitäten einschließt, die dazu geeignet sind, Konflikte und Diskrepanzen zwischen SchülerInnen, Eltern und LehrerInnen innerhalb der Schule oder bezogen auf die Schule auf Grundlage adäquater Methoden der Sozialarbeit abzubauen. Nach dem Konzept des Stadtschulrats agieren die neu eingesetzten SchulsozialarbeiterInnen präventiv, also nicht ausschließlich als „Krisen - Feuerwehr“ in Notsituationen, sondern auch bereits im Vorfeld. Die Installierung von Schulsozialarbeit und die präventive Konzeption am Schulstandort sind zu befürworten. Insbesondere, da Bildung für alle, unabhängig von Herkunft, sozialer Lage, Geschlecht, Einkommen und Art der Berufstätigkeit oder Betreuungspflichten, gewährleistet werden muss. Mit einem präventiven Ansatz kann ressourcenorientiert und nicht defizitorientiert gearbeitet werden, insbesondere mit den SchülerInnen, der primären Zielgruppe der Schulsozialarbeit.

Ein wichtiger Punkt in der präventiven Arbeit ist neben der Freiwilligkeit der Inanspruchnahme und der Vertraulichkeit auch die Niedrigschwelligkeit: Kinder und Jugendliche haben eine Anlaufstelle für ihre Fragen, Themen und auch Probleme, die nicht im Zusammenhang mit ihren schulischen Leistungen stehen. Sprechstundenzeiten reichen dazu nicht aus, eine Integration in den Schulalltag ist notwendig, wie zum Beispiel durch Präsenz auch in Pausen und nachmittags, durch Workshopangebote zu jugendrelevanten Themen u.v.m.

Durch die im Verhältnis zum präventiven Konzept der Schulsozialarbeit geringe Anzahl an SchulsozialarbeiterInnen, ist aber im Konkreten die gelungene Umsetzung in die Praxis zu hinterfragen.

Laut Wiener Stadtschulrat gab es im Schuljahr 2007/08 für 100.181 SchülerInnen an 429 Pflichtschulen (VS, HS, Sonderschulen und Polytechnische Schulen) im Raum Wien 200 BeratungslehrerInnen (ehemalige LehrerInnen mit Zusatzausbildung) und PsychagogInnen (ehemalige LehrerInnen mit Zusatzausbildung und Psychotherapieausbildung). Die 19 SchulsozialarbeiterInnen – ProfessionistInnen, die in Kommunikation, Beratung, Gruppendynamik, Vernetzung, Vermittlung und auch Krisenintervention ausgebildet sind - sollen nun im Bereich „Soziales“ im Lebensraum Schule als dritte Profession mit einsteigen. Insgesamt 219 Personen scheinen dem Stadtschulrat Wien ausreichend, um das System Pflichtschule für die Zielgruppen SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern zu verbessern und bedürfnisgerechter zu gestalten.

Die Bemühungen, die Profession Sozialarbeit in den Lebensraum Schule zu bringen, sind nicht neu und weisen bereits erste österreichische/wienerische Erfahrungswerte auf: Bereits seit 10 Jahren gibt es in Österreich die Bestrebung, Schulsozialarbeit zu etablieren. In Niederösterreich gibt es bereits seit einigen Jahren Schulsozialarbeit, in Form von additiven bis hin zu so genannten kooperativen/ integrierten Modellen. Auch in Wien wurden bereits Projekte der Schulsozialarbeit an Pflichtschulen gestartet, evaluiert und dann auf Grund von Finanzierungsschwierigkeiten wieder eingestellt. Im Pflichtschulbereich arbeitet lediglich „REBAS“, ein additives Modell der Schulsozialarbeit im 15. Bezirk Wiens. Weiters bieten die Volkshochschulen Ottakring und Floridsdorf in den Externistenhauptschulabschluss-lehrgängen Sozialarbeit in Form des kooperativen/integrierten Modells seit Jahren erfolgreich an. Und an den Wiener Berufschulen ist der Verein „KUS4You“ tätig.

Nun startet der Stadtschulrat Schulsozialarbeit in den Wiener Pflichtschulen mit einem Konzept, das zwar endlich nicht nur einzelne Standorte, sondern alle Pflichtschulen Wiens einbezieht. Aber allein auf Grund der nur 19 tätigen SchulsozialarbeiterInnen können der Erfahrung nach entweder nicht alle Schulstandorte erreicht werden oder das präventive Angebot wird drastisch reduziert. Das Projekt stellt wieder einen zu klein dimensionierten Versuch dar, Schulsozialarbeit ins Wiener Schulsystem zu integrieren. Es ist zu befürchten, dass das grundsätzlich weit reichende präventive Konzept so weit zusammengestutzt wird, dass der ursprüngliche Ansatz, den Lebensraum „Schule“ zu öffnen und insbesondere für SchülerInnen, aber auch LehrerInnen und Eltern vor Ort Unterstützung, Hilfe und eine Anlaufstelle anzubieten, gänzlich verloren geht.