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Warum der Kampf der französischen Gewerkschaften unsere Solidarität verdient

en greveSeit mehreren Wochen erlebt Frankreich die heftigste Streik- und Protestbewegung seit Mitte der neunziger Jahre. Hunderttausende ArbeitnehmerInnen und ihre Gewerkschaften protestieren gegen die geplanten Arbeitsrechts-„Reformen“ der sozialistischen Regierung, die in Wirklichkeit nichts anderes darstellen, als einen neoliberalen Kahlschlag und eine Frontalattacke auf Gewerkschaftsrechte, auf Löhne und die 35-Stunden-Woche in Frankreich. Laut Umfragen sympathisiert der Großteil der Bevölkerung mit den protestierenden ArbeitnehmerInnen.

 

Neoliberale Regierungspläne

Das Maßnahmenpaket der Regierung sieht dabei insbesondere eine Flexibilisierung und Ausweitung der Arbeitszeiten, die Verlagerung der Lohnverhandlungen auf die betriebliche Ebene und einen erleichterten Kündigungsschutz vor. Die angestrebten – über ein Regierungsdekret (!) an der Mehrheit des Parlaments vorbei beschlossenen – Reformen im einzelnen:

 

  • Die 35-Stunden-Woche bleibt zwar formell erhalten, allerdings sollen über Betriebsvereinbarungen – wie etwa die Reduktion des Überstundenzuschlags von 25 auf 10 Prozent – zusätzliche Möglichkeiten zu einer Flexibilisierung und Ausweitung der Arbeitszeiten geschaffen werden.

     

  • Mittels Betriebsvereinbarungen sollen Unternehmen von Kollektivverträgen abweichende – sprich verschlechternde – Regelungen treffen können. Die Tarif(Kollektivvertrags)hoheit soll also stärker von der Branchen- auf die betriebliche Ebene verlagert werden, was die Machtverhältnisse grundlegend zugunsten der UnternehmerInnenseite verschiebt. Zwar war es in Frankreich auch bislang so, dass Betriebsvereinbarungen von Gewerkschaften, die bei Betriebsratswahlen über 10 Prozent der Stimmen erreichten, abgeschlossen werden konnten – allerdings nur Branchenvereinbarungen verbessernde. Zusätzlich konnten im Betrieb vertretene andere Gewerkschaftsgruppen (in Frankreich gibt es keinen einheitlichen Gewerkschaftsbund, sondern Richtungsgewerkschaften) mit einem Stimmenanteil von über 50 % gegen Betriebsvereinbarungen ein Veto einlegen und diese so verhindern. Das neue Gesetz sieht nun vor, dass eine solche Blockade verunmöglicht wird: eine – oder mehrere Gewerkschaftsgruppierungen – die mehr als 30 Prozent Stimmenanteil halten, sollen künftig Betriebsvereinbarungen ausverhandeln können und diese über eine Urabstimmung unter den Beschäftigten auch gegen die Mehrheit der Gewerkschaften durchsetzen können: Dieser Gesetzesentwurf wird von politischen BeobachterInnen als „Lex CGT“ interpretiert, als Gesetz gegen die mächtigste, ehemals KP-nahe Gewerkschaft. Mit diesem Gesetz wäre die Möglichkeit der CGT, von kleineren, z.B. arbeitgeberfreundlicheren Gewerkschaftslisten abgeschlossene Betriebsvereinbarungen – etwa zur Ausweitung der Arbeitszeiten - zu blockieren, deutlich eingeschränkt, wenn nicht verunmöglicht.

 

  • Weiters werden betriebsbedingte Kündigungen erleichtert – etwa wenn ein Unternehmen über einen längeren Zeitraum einen Umsatzrückgang bzw. über einen kurzen zusammenhängenden Zeitraum operative Verluste erleidet. Bislang waren betriebsbedingte Kündigungen nur bei Unternehmensauflösung oder im Rahmen technologischer Erneuerungen möglich.

     

  • Zusätzlich werden neue, prekäre Arbeitsverträge eingeführt: werden „neue Märkte“ erschlossen, soll es künftig auf zwei Jahre befristete Arbeitsverträge auf „Entwicklungsbasis“ geben, die ausgesprochen flexibel gestaltet sind und sich analog zum „neuen Markt“ hinsichtlich Arbeitszeiten und Einkommen auch über den Zeitraum hinweg ändern, also insbesondere auch verschlechtert werden können.


Die „Reformen“ im Arbeitsrecht befinden sich durchaus in europäischem Einklang: Europaweit und insbesondere auch auf institutioneller EU-Ebene – etwa seitens der Generaldirektion Finanzen der EU-Kommission - wird Druck auf die Verlagerung der Kollektivvertragsverhandlungen auf die betriebliche Ebene gemacht und so die Schwächung der Gewerkschaften vorangetrieben, die Flexibilisierung von Arbeitsverträgen und Arbeitsverhältnissen gefordert und Lohnzurückhaltung bis hin zur Absenkung der Mindestlöhne empfohlen. Im Fokus neoliberaler Krisenbewältigung stehen auch die Arbeitszeiten – die grundsätzlich immer und überall zu wenig Flexibilität zulassen.

 

Wir erklären als AUGE/UG unsere Solidarität mit den französischen Gewerkschaften, den ArbeitnehmerInnen und der mit ihnen solidarischen linken Zivilgesellschaft in ihrem Arbeitskampf gegen die neoliberalen Arbeitsrechtsreformen. Weil der Kampf, den die französischen KollegInnen führen, ein Kampf auch für unsere Rechte, für unsere Kollektivverträge und für unsere Arbeits- und Lebensbedingungen ist. In Europa, wie auch in Österreich. Denn auch in Österreich steht nach wie vor

 

  • unter dem Schlagwort der „Flexibilisierung“ und der „Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit“ die Ausweitung der maximal zulässigen täglichen Arbeitszeit auf 12 Stunden auf der politischen Agenda,

     

  • fordern FPÖ und NEOS die Kürzung der AK-Umlage und damit die empfindliche politische und wirtschaftliche Schwächung der Interessensvertretungen der ArbeitnehmerInnen,

     

  • wächst der Anteil jener ArbeitnehmerInnen – insbesondere der Frauen - die in prekären und atypischen, sozial- und arbeitsrechtlich vielfach nicht ausreichend gesicherten Beschäftigungsverhältnissen arbeiten,

     

  • werden angesichts steigender Arbeitslosigkeit Kürzungen bei Mindestsicherung und Arbeitslosengeld angedacht um „Anreize“ für eine Erhöhung der Erwerbsbeteiligung zu setzen,

     

  • wird auch in Österreich seitens der Industrie, konservativer  und NEOS-liberaler PolitikerInnen die Stärkung der betrieblichen gegenüber der Branchenebene bei Kollektivvertragsverhandlungen gefordert, was einer massiven Schwächung der ArbeitnehmerInnenseite bei Lohn- und Arbeitszeitverhandlungen gleich kommt.

 

„Neoliberale“ Krisenpolitik, wie sie seit Jahren innerhalb der EU betrieben wird, verschärft nur ökonomische und soziale Spannungen, lässt einen tiefen Spalt in der Gesellschaft zurück und stärkt rechtsextreme politische Parteien und autoritäre Entwicklungen in unseren Demokratien. Der Kampf der französischen KollegInnen ist in diesem Sinne auch ein Kampf für Demokratie, Mitbestimmung und gegen eine „marktkonforme“ Demokratie, deren Regierungen mehr und mehr zu autoritären Mitteln wie Notstandsgesetzgebungen oder Regierungsdekreten zurückgreifen müssen, um verschlechternde Maßnahmen durchzusetzen.

Die französische Regierung ist dringend aufgefordert, ihr Maßnahmenpaket zurückzunehmen und in Verhandlungen mit den Gewerkschaften zu treten, um solidarische Wege aus der sozialen und ökonomischen Krise zu finden.

Für einen grundlegenden politischen Kurswechsel in der EU. Für ein Europa der Demokratie, der Solidarität und des sozial-ökologischen Wandels!

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