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Resolution / Sozialstaat sichern – Sozialstaat ausbauen! Fair-teilen durch faire Steuern!

Resolution der AUGE/UG - Alternative und Grüne GewerkschafterInnen/Unabhängige GewerkschafterInnen zur 145. Vollversammlung der AK-Wien am 7. November 2006

Resolution zugewiesen (Ausschuss Sozialpolitik, Arbeitsrecht und Rechtspolitik/Finanzpolitik)

BDFA, GLB: Ja

ÖAAB: Nein

FSG, FA, GA, BM: für Zuweisung

Antragsbearbeitung

 

Die Arbeiterkammer Wien fordert einen politischen Kurswechsel in der Steuer- und Abgabenpolitik, der Arbeit entlastet, Kapital und Vermögen zur Finanzierung des Sozialstaates stärker heranzieht. Ein entsprechender Kurswechsel soll mehr Steuer- und Verteilungsgerechtigkeit sicherstellen und die Errungenschaften des Sozialstaates absichern und Defizite bereinigen.

Die 145. Vollversammlung der Arbeiterkammer Wien fordert:

  • Eine Steuerreform, die insbesondere einkommensschwache ArbeitnehmerInnengruppen entlastet – etwa durch Ausweitung der Negativsteuer – die Kaufkraft stärkt und damit die Binnennachfrage erhöht.
  • Die Rücknahme der Gruppenbesteuerung, sowie eine Ausgestaltung der Körperschaftssteuer, die Steuerschlupflöcher schließt und den Anteil der Unternehmenssteuern am Gesamtsteueraufkommen zumindest auf das durchschnittliche EU-Niveau hebt.
  • Eine Reform der Vermögensbesteuerung. Entsprechen dem steuerlichen Grundsatz, dass alle Gruppen entsprechend ihren ökonomischen Fähigkeiten ihren Anteil am Steueraufkommen zu leisten haben, gilt es, die Vermögenssteuern entsprechend auszugestalten und zu erhöhen. Das Aufkommen von Vermögenssteuern am Gesamtsteueraufkommen muss zumindest auf EU bzw. OECD-Niveau angehoben werden. Die steuerliche Bevorzugung von Stiftungen ist zu beenden.
  • Abgabenhinterziehung, Scheinfirmen und unternehmerischer Sozialbetrug müssen stärker und konsequenter bekämpft werden, Sozialversicherungsbeiträge konsequent eingehoben werden. In einem weiteren Schritt muss die Beitragsgrundlage für Sozialversicherungsbeiträge auf die gesamte Wertschöpfung bzw. auf alle Einkommensarten ausgedehnt werden. Es ist nicht einzusehen, dass Einkommen aus Vermögen (z.B. Zinsen, Mieterträge, Pachten, Einkommen aus Unternehmensbeteiligungen etc.) im Vergleich zu Lohneinkommen abgabenrechtliche bevorzugt werden. Selbstbehalte im Bereich des Gesundheitswesen müssen zurückgenommen werden, da sie einem solidarischen Gesundheitssystem widersprechen und insbesondere einkommensschwache Gruppen benachteiligen.
  • Atypische Beschäftigungsverhältnisse sind in die Systeme sozialer Sicherung mit einzubeziehen. Der ArbeitnehmerInnenbegriff muss auf diese Gruppen ausgedehnt werden, neue Formen sozialer Sicherung – etwa eine bedarfsorientierte Grund- oder Mindestsicherung – eingeführt werden, um Lücken im sozialen Netz zu schließen und Armut wirkungsvoll zu bekämpfen

Österreich ist ein wohlhabendes Land. Faktum ist allerdings: immer weniger Menschen profitieren von diesem Wohlstand. Im Gegenteil: Arbeitslosigkeit und mit ihr die Armut wächst, die Armutsgefährdung weiter Teile der Bevölkerung steigt, der Beschäftigungszuwachs ist auf eine Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse zurückzuführen, die keine Existenzsicherung mehr garantieren. Sozialleistungen werden zurückgeschraubt, Defizite im Sozialstaat nicht behoben, Selbstbehalte im Gesundheitsbereich ausgeweitet.
Gleichzeitig steigt allerdings auch der Reichtum einzelner Bevölkerungsgruppen. Die Steuerpolitik der Regierung unterstützt diese Entwicklung. Kapital wird steuerlich entlastet, die ArbeitnehmerInnen warten nach wie vor auf eine Steuerreform, die insbesondere auch den einkommensschwächsten Gruppen unter ihnen zugute kommt. Ausständige Sozialversicherungsbeiträge der Unternehmen erzielen einen traurigen Spitzenwert und verschärft die angebliche Finanzierungskrise des Sozialstaates. Einige Fakten:

  • Laut Sozialbericht der Bundesregierung 2003/2004 fallen 1.044.000 Menschen in Österreich unter die Armutsgefährdungsschwelle von 60 % des Medianeinkommens (13,2 % der Gesamtbevölkerung). Frauen sind dabei stärker betroffen als Männer. Das Erwerbstätigkeit nicht mehr vor Armut schützt belegt eindrucksvoll eine weitere Zahl: In Haushalten mit maximaler Erwerbsintensität – alle Personen zwischen 20 und 64 Jahren sind durchgehend erwerbstätig – leben ein Viertel (235.000) aller armutsgefährdenden Personen.
  • Zurückzuführen ist diese Phänomenen u. a. auf das Ansteigen atypischer, oft prekärer Arbeitsverhältnisse: Im Jahr 2003 waren 489.400 Menschen teilzeitbeschäftigt (12-35 Stunden),  über das Jahr 2004 gerechnet über 227.000 Menschen geringfügig Beschäftigt, an die 100.000 Menchen arbeiteten als freie DienstnehmerInnen oder “neue” Selbständige. Von Atypisierung sind vor allem Frauen betroffen, die Folge oft ein Leben unter besonders prekären Bedingungen: niedriges Einkommen, unzureichender sozialer Schutz im Falle von Arbeitslosigkeit oder Krankheit. (Quelle: AK-statistisches Jahrbuch, ÖGB)
  • Dramatisch auch der Anstieg der Arbeitslosen: im März 2006 waren 271.557 Menschen erwerbsarbeitslos.
  • Bei den ArbeitnehmerInnen sieht die soziale Lage nicht viel besser aus. Auch hier besteht eine dramatische verteilungspolitische Schieflage: so ist die Produktivität seit 1995 zwar um fast 18 Prozent gestiegen, die Bruttolöhne dagegen, inflationsbereinigt, nur um 3,3 %. Real und netto, nach Abzug von Steuern und Abgaben betragt der Lohnzuwachs der vergangenen zehn Jahre gerade einmal 0,5 % (AK OÖ). Es hat damit eine klare Umverteilung von den ArbeitnehmerInnen hin zu den UnternehmerInnen gegeben. Die AK-Wien spricht in einer Studie aus dem Jahr 2003 klar von einer Umverteilung von Arbeit zu Kapital. In der Industrie beispielsweise wuchs die betriebliche Wertschöpfung pro MitarbeiterIn im Zeitraum von 1997 bis 2001 um 16,9 %, der Personalaufwand pro Beschäftigten dagegen lediglich um 10,6 %. Im Handel stieg die Produktivität um 6,9 %, der Personalaufwand dagegen lediglich um 3,0 %.
  • Ein Vergleich der Steuerzuwächse für den Zeitraum 1992 bis 2005 belegt eine weitere verteilungspolitische Schieflage: so wuchsen die Einnahmen aus den Lohnsteuern um 68 % auf rund 17 Mrd. Euro, die der Unternehmenssteuern um lediglich 9 % auf rund 7 Mrd. Euro. Nicht, dass österreichische Unternehmen keine Gewinne erwirtschaften würden – ganz im Gegenteil die Gewinne steigen steil nach oben -  sie bezahlen nur sehr wenig Steuer dafür. SPAR Österreich fuhr 2002 einen Gewinn von 57 Millionen Euro ein, die Steuer betrug 7,6 Millionen oder 13,3 Prozent. Den Vogel schoss aber die Siemens AG ab. Gewinn dieser Aktiengesellschaft 2002: 248 Millionen Euro. Steuer 17,1 Millionen Euro, sind gleich 6,9 Prozent.
  • Bei den Gewinnsteuern ist Österreich mit 4,7 Prozent am Gesamtsteueraufkommen gegenüber den Unternehmen außerdordentlich sozial. EU Schnitt ist hier 8,6 Prozent, Luxemburg mit 19,4 Prozent Spitzenreiter. Mit der von der Regierung beschlossenen Senkung des Körperschaftssteuersatzes und der Einführung der Gruppenbesteuerung sollen die Unternehmen weiterhin entlastet werden, während die ArbeitnehmerInnen auf deutliche Entlastungsschritte weiter warten dürfen. (AK OÖ, OECD)
  • Nicht anders sieht es bei den Vermögenssteuern aus. Hier ist Österreich internationales Schlusslicht: Gerade einmal 1,2 Prozent tragen Vermögens- und Erbschaftssteuer am gesamten Steueraufkommen bei. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, den USA, ist der Prozentsatz zehnmal so hoch.  (OECD) Besonders zu berücksichtigen ist hier das Geldvermögen in Stiftungen: Laut Nachrichtenmagazin PROFIL waren 1996 600 Mio. Euro in Stiftungen geparkt, 1999 waren es bereits 35 Mrd. Euro. 2005 werden es voraussichtlich 60 Mrd. Euro sein. Innerhalb eines knappen Jahrzehnts hat sich also das Stiftungsvermögen verhundertfacht!
  • Vermögenszuwächse in Stiftungen sind zusätzlich steuerlich privilegiert.
  • Werden Unternehmen und Vermögende schon steuerlich gegenüber den ArbeitnehmerInnen bevorzugt, bleiben sie oft auch Sozialversicherungsbeiträge schuldig. Die Höhe der uneinbringlichen Beiträge – zur Erinnerung, keineswegs Beiträge der Unternehmen, sondern Lohnbestandteile, also Beiträge der ArbeitnehmerInnen, die von den Unternehmen als “Arbeitgeberbeiträge” direkt abgeliefert werden – hat sich seit 1998 von 55 Millionen Euro auf 155 Millionen Euro im Jahr 2005 erhöht. Unternehmen zahlen auch zu spät: Mit Jahresende 2005 waren die Unternehmen 925,5 Millionen Euro schuldig.

Diese ausgewählten Fakten belegen: Die verteilungspolitische Schieflage in Österreich hat sich deutlich verschärft. Der Sozialstaat wird bewusst durch steuerpolitische Maßnahmen, durch eine mangelnde Eintreibung von Steuer- und Abgabenschulden, durch eine Bevorzugung von Kapital und Vermögen geschwächt, seine finanzielle Basis ausgehölt.

 

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