Resolution 03 / Bleiberecht für gut integrierte und langaufhältige Menschen in Österreich
Antrag der AUGE/UG Alternative und Grüne GewerkschafterInnen/Unabhängige GewerkschafterInnen zur 147. Vollversammlung der AK-Wien am 13. November 2007
Antrag zugewiesen (Ausschuss Arbeitsmarktangelegenheiten und Integration)
GLB: Ja
ÖAAB, FA: Nein
FSG, GA, BM, BDFA: für Zuweisung
Bleiberecht für gut integrierte und langaufhältige Menschen in Österreich
Die Vollversammlung der AK-Wien protestiert gegen die Abschiebung von Menschen, die seit Jahren in rechtskonformen Arbeitsverhältnissen stehen, AK-Mitglieder sind und sich keiner strafrechtlichen Vergehen schuldig gemacht haben.
Die Vollversammlung der AK-Wien tritt für die Schaffung eines eigenen, rechtsstaatlichen Kriterien, den internationalen Verpflichtungen der Republik Österreich sowie der Judikatur von EGMR und VfGH entsprechenden Verfahrens zur Feststellung des Vorliegens eines Bleiberechts für Personen und Familien ein, die sich bereits vier Jahre oder länger in Österreich aufhalten. Dieses Verfahren ist nicht durch jene Behörde zu führen, die über asylrechtliche Verfahren oder Ausweisungen zu entscheiden hat.
Die Vollversammlung der AK-Wien tritt für ein Bleiberecht für jene Menschen ein, die sich bereits drei Jahre oder länger in Österreich aufhalten, sich in Österreich integrieren konnten und zum 31. Oktober 2007 noch keine endgültige und rechtskräftige Entscheidung in ihren Verfahren nach fremden- oder asylrechtlichen Bestimmungen erhalten haben.
Die Vollversammlung der AK-Wien tritt für ein unbedingtes Bleiberecht für jene Kinder und Jugendliche sowie deren Familien ein, die zumindest die Hälfte ihres bisherigen Lebens oder ihrer bisherigen Schul- und/oder Berufsausbildung in Österreich absolviert haben.
Die Vollversammlung der AK-Wien fordert den Innenminister dazu auf, dafür Sorge zu tragen, dass die in den Entscheidungen des EGMR sowie des VfGH dargelegten Grundsätze zur Entscheidung über die Zulässigkeit von Eingriffen in Rechte nach Art. 8 EMRK endlich sowohl in die Gesetzeslage wie auch in die praktische Tätigkeit der Behörden einfließen.
Begründung
Das österreichische Fremdenrecht ist in den letzten fünfzehn Jahren zu, wie es führende österreichische Verfassungsrechtler ausdrücken, einem „Fremdenverhinderungsrecht“ geworden. Auf Grund dieser fragwürdigen gesetzlichen Vorschriften geraten Gesetzeslage und Gesetzesumsetzung durch die Behörde in Konflikt mit jenem Rahmen, der über internationale Verträge sowie der darauf basierenden Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Verfassungsgerichtshofes gesetzt ist.
Mehr als fünfzig Prozent aller erstinstanzlichen Asylbescheide werden in der Instanz behoben; und regelmäßig behebt der Verfassungsgerichts aufenthaltsrechtliche Bescheide wegen offensichtlicher Rechtswidrigkeit. Ebenso regelmäßig wird Österreich wegen ungenügender Beachtung der Europäischen Menschenrechtskonvention, insbesonderer deren Artikel acht, verurteilt.
Nunmehr hat das von der Republik Österreich geschaffene Schlamassel einen neuen Höhepunkt erreicht: Über 30.000 Menschen leben in Österreich, über deren Anträge nach verschiedenen aufenthalts- oder asylrechtlichen Vorschriften noch nicht endgültig entschieden wurde. Die bewusst gewählte Unterausstattung der zuständigen Behörden sowohl in personeller, organisatorischer wie auch rechtlicher Hinsicht hat dazu geführt, dass eine große Anzahl von Menschen seit oft mehr als fünf Jahren auf die Erledigung ihrer Anträge warten. Dieser Zustand an sich verstößt bereits gegen die EMRK.
Hinzu kommt, dass die Behörden die durch Behördenversäumnis geschaffene neue Situation der Betroffenen nicht ausreichend berücksichtigt und das Innenministerium sogar die Anweisung gegeben hat, Menschen in der beschriebenen Situation vorrangig außer Landes zu schaffen. Es versteht sich von selbst, dass diese Vorgabe neue Verstöße gegen Art. 8 EMRK hervorbringt.
Die einzig denkbare verwaltungstechnische und rechtskonforme Lösung für dieses Problem liegt in einer Zuerkennung eines Bleiberechts für jene Menschen, die bereits seit langer Zeit in Österreich aufhältig sind und es geschafft haben, sich zu integrieren und sich und ihren Familien eine neue Lebensgrundlage aufzubauen.
Das österreichische Recht sieht jedoch kein eigenes Verfahren zur Feststellung eines Bleiberechts vor, sodass dieses von jenen Behörden berücksichtigt werden muss, welche auf Grund der beschriebenen Situation das Problem erst verursacht haben. Diese Situation ist rechtsstaatlich unhaltbar.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in unzähligen Entscheidungen einen Rahmen gesetzt, innerhalb dessen zu entscheiden ist, ob staatliches Interesse auf Durchsetzung von Ausweisungsbescheiden in unzulässiger Weise in individuelle Rechte nach Art. 8 EMRK eingreift oder nicht.
So wurde etwa wiederholt unter anderem klargestellt, dass...
...die Prüfung, ob ein unzulässiger Eingriff in die Rechte nach Art. 8 EMRK vorliegt, an der Lebenssituation der Betroffenen zum Zeitpunkt des endgültigen Wirksamwerdens einer Ausweisung zu erfolgen hat;
...eine, die Verhängung eines Aufenthaltsverbots begründende Gefährdung der Sicherheit und Ordnung eine konkrete, individuelle und erhebliche Gefährdung darstellen muss;
...die soziale, berufliche oder etwa schulische Integration einer Person Berücksichtigung finden muss;
...die Abschiebung in eine Region, in der bis vor kurzen Krieg herrschte und unklare und eine, das Fortkommen der Betroffenen behindernde Situation vorliegt, nicht zumutbar ist;
...die Tatsache, dass Kinder einen erheblichen Teil ihres bisherigen Lebens oder ihrer Schulzeit in einem Land verbracht haben, ein gewichtiges Argument für die Gewährung eines Aufenthaltsrecht ist.
Diese Grundsätze, die der EGMR wiederholt auch in Entscheidungen zu Österreich betreffenden Fällen dargelegt hat (siehe etwa Maslov vs. Austria, Yildiz vs. Austria, Radovanovic vs. Austria oder Jakupovic vs. Austria), werden auch von VfGH berücksichtigt und bestätigt (siehe zuletzt etwa in der Entscheidung zum Fall B 2126/06 vom 12.06.2007). Dennoch haben sie weder vollinhaltlich in die bestehenden Gesetze noch in die Exekution der geltenden Fremdengesetze ausreichend Eingang oder Berücksichtigung gefunden.
Diese, einem demokratischen Rechtsstaat unwürdige Situation muss sofort beendet werden!
Materialien:
Maslov vs. Austria (EGMR): http://cmiskp.echr.coe.int////tkp197/viewhbkm.asp?action=open&table=F69A27FD8FB86142BF01C1166DEA398649&key=61408&sessionId=2940836&skin=hudoc-en&attachment=true
Yildiz vs. Austria (EGMR): http://cmiskp.echr.coe.int////tkp197/viewhbkm.asp?action=open&table=F69A27FD8FB86142BF01C1166DEA398649&key=3283&sessionId=2940851&skin=hudoc-en&attachment=true
Radovanovic vs. Austria (EGMR): http://cmiskp.echr.coe.int////tkp197/viewhbkm.asp?action=open&table=F69A27FD8FB86142BF01C1166DEA398649&key=4299&sessionId=2940855&skin=hudoc-en&attachment=true
Jakupovic vs. Austria (EGMR): http://cmiskp.echr.coe.int////tkp197/viewhbkm.asp?action=open&table=F69A27FD8FB86142BF01C1166DEA398649&key=3497&sessionId=2940858&skin=hudoc-en&attachment=true
B 2126/06 vom 12.06.2007 (VfGH): http://www.vfgh.gv.at/cms/vfgh-site/attachments/1/4/7/CH0006/CMS1184914878458/aufenthaltsverbot_art_8_emrk_b2126-06.pdf