Antrag 1 / Arbeitszeit verkürzen – Arbeit fair teilen!
zur 153. Vollversammlung der Arbeiterkammer Wien am 28. April 2010
Antrag zugewiesen (Ausschuss f. Allgemeine Sozialpolitik, Arbeitsrecht und Rechtspolitik)
GA, GLB, Türkis, Kom., BDFA: ja
ÖAAB, FA: nein
FSG, Persp., BM: für Zuweisung
Die 153. Vollversammlung der Wiener Arbeiterkammer fordert:
• eine radikale, allgemeine und gesetzliche Verkürzung der wöchentlichen und täglichen Normalarbeitszeit um mindestens 20 % - Zielrichtung 30-Stunden-Woche, 6-Stunden-Arbeitstag - mit Einkommensausgleich jedenfalls bis zur Höchstbeitragsgrundlage,
• die Einführung einer sechsten Urlaubswoche, wie sie in vielen europäischen Ländern längst Standard ist,
• eine wirkungsvolle Eindämmung des Überstundenunwesens durch progressiv steigende Beiträge zur Kranken- und Arbeitslosenversicherung für jede zusätzlich geleistete Überstunde. Eine Streichung der steuerlichen Begünstigung von Überstunden,
• eine gesetzliche Verpflichtung für Unternehmen, ab einem bestimmten Ausmaß an regelmäßig und dauerhaft über einen gewissen Zeitraum erbrachten Überstunden (z.B. Überstunden im Ausmaß von zehn Prozent des gesamten Normalarbeitszeitvolumens) eine entsprechende Anzahl an neuen ArbeitnehmerInnen einstellen zu müssen,
• einen Rechtsanspruch auf zeitlich befristete berufliche Auszeiten (Sabbatical, Betreuungs-, Bildungskarenzen) bei Bezug eines fiktiven Arbeitslosengeldes, mindestens jedoch Mindestsicherung,
• Ausweitung des Rechtsanspruchs auf Teilzeit – mit Rückkehrrecht zu Vollzeit – für Eltern von Kindern in einem ersten Schritt bis zum 10. Lebensjahr des Kindes, perspektivisch bis zum 16. Lebensjahr des Kindes.
• gesetzliche Mindestarbeitszeitregelung bei Teilzeitbeschäftigung: neben gesetzlichen Höchstarbeitszeiten sollen auch Mindestarbeitszeiten gesetzlich verankert werden, unter die kein Teilzeitarbeitsverhältnis fallen darf, um ein entsprechendes Mindesteinkommen für Teilzeitbeschäftigte zu sichern (Ausnahme: spezifische Lebens- und Bedarfslagen) und
• entsprechende soziale und rechtliche Rahmenbedingungen, die Vollzeitbeschäftigung ermöglichen. Das soll insbesondere durch ein flächendeckendes, ganztägiges, bedarfsorientiertes Angebot an Kinderbetreuungs- und Bildungseinrichtungen - von der Kinderkrippe bis zur Ganztagschule – sowie ein entsprechendes Angebot an Einrichtungen für betreuungs- und pflegebedürftige Angehörige mit Rechtsanspruch ermöglicht werden.
Arbeit ist auch in Zeiten der Krise höchst ungleich verteilt. So arbeiteten im 3. Quartal 2009 Vollzeit arbeitende Männer nach wie vor durchschnittlich 42,9 Wochenstunden (2008: 43,1), Vollzeit beschäftigte Frauen 41,2 Wochenstunden (2008: 41,4 Stunden; Quelle: Statistik Austria). Auch die durchschnittlichen Arbeitszeiten (Voll- und Teilzeit) haben sich kaum verändert: Männer arbeiteten im 3. Quartal 2009 durchschnittlich 41,1 Wochenstunden (2008: 41,4), Frauen 32,6 Wochenstunden (2008: 32,9).
Eine deutliche Verschiebung hat es im Zuge der Krise von Voll- zu Teilzeitbeschäftigungsverhältnissen gegeben: So ist einmal mehr die Teilzeitquote von 23,6% (4/2008) auf 24,1% (3/2009) gestiegen. Verglichen mit dem zweiten Quartal 2008 sind bis zum zweiten Quartal 2009 54.500 Vollzeitstellen abgebaut worden. Gleichzeitig ist die Arbeitslosigkeit auf rund 400.000 Arbeitslose zu Beginn des Jahres 2010 gestiegen.
Höchst ungleich verteilt ist bezahlte und unbezahlte Arbeit nicht nur zwischen in Erwerbsarbeit stehenden und Arbeitslosen, sondern auch zwischen Männern und Frauen. Die Krise hat allerdings gleichzeitig auch bewiesen, dass Arbeitszeitverkürzung – etwa durch Kurzarbeit und Bildungskarenzen – auch Arbeitsplätze sichert, wenn auch unter Hinnahme eines teilweisen Lohnverlustes.
Tatsache ist auch, dass Arbeitszeitverkürzung seit Jahrzehnten stattfindet: allerdings nicht in Form einer kollektiven Arbeitszeitverkürzung, sondern individuell. Ohne Lohnausgleich und dadurch vielfach nicht Existenz sichernd. Und keineswegs immer freiwillig, sondern, weil gesellschaftliche Rahmenbedingungen – wie etwa fehlende Betreuungseinrichtungen für Kinder oder zu pflegende Personen – nur Teilzeitarbeit zulassen.
Die letzten generellen Arbeitzeitverkürzungen fanden etappenweise von 1970 bis 1975 statt, als die Wochenarbeitszeit von 45 auf 40 Stunden reduziert wurde. Die letzte Erhöhung des gesetzlichen Mindesturlaubs wurde 1986 durchgeführt. Damals wurde der Urlaub von vier auf fünf Wochen erhöht.
Es besteht genügend Spielraum für eine grundlegende, radikale Verkürzung der Arbeitszeit: während nämlich das Bruttoinlandsprodukt von 1976 bis 2009 durchschnittlich real um 2,1% jährlich gewachsen ist, wuchsen die Einkommen der ArbeitnehmerInnen im gleichen Zeitraum unterdurchschnittlich real um 1,8%, während die Gewinneinkommen real um 2,6% überdurchschnittlich gewachsen sind. Trotz enormer Produktivitätszuwächse schlugen sich diese weder in einem entsprechenden Lohnwachstum nieder, noch in einer entsprechenden kollektiven Verkürzung der Arbeitszeit.
Eine grundlegende, umfassende Arbeitszeitverkürzung ist daher überfällig,
• um eine gerechtere Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit – insbesondere zwischen den Geschlechtern – sicherzustellen,
• um Arbeitslosigkeit und Armut über eine gerechtere Verteilung von bezahlter Arbeit wirkungsvoll begegnen zu können,
• um den ArbeitnehmerInnen einen Teil jener Produktivitätszuwächse, die sie in den letzten Jahrzehnten erarbeitet haben, über kürzere Arbeitszeiten bei stabil bleibenden Einkommen zurückzugeben,
• um eine faire Balance zwischen Arbeits- und Lebenszeit wieder herzustellen,
• um gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die aus überlangen Arbeitszeiten entstehen, entgegen zu wirken und
• um über gleichberechtigte Partizipation am Arbeitsmarkt Aufstiegschancen zu gewährleisten.