Antrag 7 / Verurteilung Tierrechtsprozess
zur 153. Vollversammlung der Arbeiterkammer Wien am 28. April 2010
Antrag abgelehnt
GA, GLB, Türkis, Kom.: ja
FSG, ÖAAB, FA, Persp.: nein
BM, BDFA: für Zuweisung
Die 153. Vollversammlung der Arbeiterkammer Wien verurteilt die derzeit auf Grundlage des § 278a StGB stattfindenden Prozesse gegen 13 TierrechtsaktivistInnen.Die Vollversammlung der Arbeiterkammer Wien
• stimmt bedenklich, dass im gegenwärtigen Strafverfahren Gesinnungen, Meinungsäußerungen und normale NGO-Aktivitäten wie legale Versammlungen oder Aktionen des zivilen Ungehorsams von der Staatsanwaltschaft inkriminiert werden und überhaupt Thema einer Hauptverhandlung sind; sie wird diese Bedenken der Öffentlichkeit und den zuständigen Stellen u.a. in eigenen und fremden Medien zur Kenntnis bringen.
• möchte Staatsanwalt und Gericht darauf hinweisen, dass nach herrschender Auffassung (vergleich Velten, JSt 2009,55 ; Maier, Juridikum 2010/1) der Tatbestand des § 278a einschränkend auszulegen ist, ganz besonders dann, wenn es nicht um mafiaähnliche Organisationen geht, sondern um Gruppierungen aus dem NGO-Bereich; diese Auslegung ist auch grund- und menschenrechtlich geboten; dass in diesem Zusammenhang das Konzept der Doppelstrategie (legale und illegale Aktivitäten durch eine Organisation) nicht geeignet ist, ausreichende Grundlage für eine strafrechtliche Anklage zu bilden, da ansonsten jegliche NGO-Tätigkeit und Aktionen des zivilen Ungehorsams als Förderungshandlungen einer kriminellen Organisation inkriminiert werden könnten.
• weist darauf hin, dass im gegenständlichen Strafverfahren das Ankündigen von Kampagnen als Nötigung angeklagt ist; bekräftigt in diesem Zusammenhang, dass es in einer modernen Demokratie notwendig ist, die Öffentlichkeit über problematische Unternehmenspraktiken zu informieren und gegebenenfalls durch Kampagnen- und NGO-Arbeit, einschließlich Aktionen des zivilen Ungehorsams, Druck auf diese Unternehmen auszuüben; dass eine solche Vorgehensweise sozialadäquat ist und keinesfalls als Nötigung angesehen werden kann; auch dann nicht, wenn es außerhalb von vergangenen Kampagnen zu Straftaten gekommen ist, und gegenüber Unternehmen bei der Kampagnenankündigung auf diese Kampagnen Bezug genommen wurde.
• setzt sich aktiv ein für
• den Rücktritt von der Anklage bzw. die Beantragung des Freispruchs seitens der Staatsanwaltschaft im oben erwähnten Verfahren
• eine genaue Prozessbeobachtung insbesondere im Hinblick auf die Gewährleistung eines fairen Verfahrens im Sinne der StPO und des Art 6 MRK.
• eine unabhängige Prüfung der Rechtmäßigkeit der Vorläufe zu den Verhaftungen
• die rechtliche und finanzielle Unterstützung der Angeklagten.
• ein Bekanntmachen dieser demokratiepolitisch bedenklichen Entwicklung einer breiten Öffentlichkeit in eigenen und fremden Medien
Die Vollversammlung der Arbeiterkammer Wien fordert den ÖGB sowie die Teilgewerkschaften auf, diese Forderungen aktiv mit zu unterstützen.
Begründung:
Am 21.05.2008 stürmten Sondereinheiten der Polizei frühmorgens 23 Wohnungen, Büros und Häuser von TierrechtsaktivistInnen. Die AktivistInnen wurden mit vorgehaltener Pistole aus den Betten gerissen, ihre Computer samt Mitgliederdaten beschlagnahmt. 10 Personen kamen für 105 Tage in Untersuchungshaft, obwohl ihnen keine konkreten Straftatbestände nachgewiesen werden konnten. Grundlage für dieses Vorgehen war §278 a StGB („Bildung einer kriminellen Organisation“). Auf Grundlage dieses Straftatbestandes bekam die Sonderkommission bereits 2007 weitreichende Ermittlungsbefugnisse: Diese hat Telefone abgehört, Emails von über 100 Personen gelesen, das Finanzamt bzgl. 30 Personen abgefragt, Überwachung von 5 Wohnungen u.a. mit Videokameras durchgeführt.
Dieses ganze Arsenal an Überwachungs- und Bespitzelungsaktivitäten kann der Staat nach den §§278ff StGB zum Einsatz bringen, ohne dass jemals eine Straftat begangen wurde, es reicht der Verdacht, dass eine begangen werden könnte. Zusätzlich macht sich eine Person nach einem Urteil des OGH bereits durch die Mitgliedschaft in einer „kriminellen“ Organisation (und die Unterstützung legaler Kampagnen) strafbar, ohne selbst eine kriminelle Handlungen begangen zu haben. Strafbar macht die Person sich durch das Wissen, dass es im Rahmen der NGO zu strafbaren Handlungen kommen wird – von wem auch immer. Insbesondere den 5 angeklagten MitarbeiterInnen des VGT wird ausschließlich angelastet, dass sie legale und normale Tierschutzkampagnenarbeit geleistet hätten, aber dass dadurch ideell und indirekt ihnen unbekannte Personen zu Straftaten motiviert worden sein könnten.
Es kann in einem Rechtsstaat nicht angehen, dass Menschen ohne triftige Gründe verhaftet werden und dadurch ihre Arbeit verlieren. Es ist zu befürchten, dass dieses Vorgehen auch gegen andere politisch Engagierte ausgeweitet wird. Gleichzeitig ist zu befürchten, dass es eine Bedrohung jedes politischen Engagements darstellt. Erste Auswirkungen sind bereits erkennbar: Aktive haben sich in den Hintergrund zurückgezogen, Menschen haben Angst, Vereinen beizutreten, Petitionen zu unterschreiben oder zu spenden.
Eine Verurteilung der AktivistInnen würde einen Schlag ins Gesicht all jener bedeuten, die sich in der Vergangenheit für politische Meinungsfreiheit eingesetzt haben. Um auch in Zukunft wirksamen ArbeitnehmerInnenschutz gewährleisten zu können, dürfen AktivistInnen von AK und ÖGB nicht von demokratiepolitisch bedenklichen Gesetzen wie den §§ 278 ff StGB eingeschränkt werden. Aus diesem Grund müssen AK und ÖGB aktiv Solidarität mit den von den §§ 278 ff StGB Betroffenen zeigen.
Selbstverständlich respektieren Arbeiterkammer und ÖGB die Unabhängigkeit des entscheidenden Gerichtes. Arbeiterkammer und ÖGB sind aber der Auffassung, dass es zulässig sein muss, Bedenken gegen die übermäßig weite Auslegung von Straftatbeständen zu äußern, wenn sich daraus demokratiepolitisch problematische Entwicklungen ergeben können. In diesem Sinne ist es auch zulässig, diese Bedenken der Staatsanwaltschaft bzw. der Justizministerin als deren oberster Chefin näher zu bringen. Die Staatsanwaltschaft kann auch nach erhobener Anklage jederzeit in der Hauptverhandlung von der Anklage zurücktreten (§ 250 Z 2 StPO) bzw. im Rahmen des Schlussplädoyers einen Freispruch beantragen (EvBl 1953/381).
Insbesondere gehört es auch zu den Aufgaben von Arbeiterkammer und ÖGB menschenrechtlich bedenklichen Vorgangsweisen von Polizei und Staatanwaltschaft, wie sie in diesem Strafverfahren stattgefunden haben, entgegenzutreten, sowie sich um ein faires Verfahren zu