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Antrag 07 / Zugang zu Pflegegeld nicht erschweren

der AUGE/UG - Alternative und Grüne GewerkschafterInnen/Unabhängige GewerkschafterInnen
zur 163. Vollversammlung der Arbeiterkammer Wien am 29. Oktober 2014

 

Antrag mehrheitlich zugewiesen
ÖAAB, GA, Persp., ARGE, GLB, Türkis, Kom., BDFA: ja
FSG, FA: für Zuweisung

Antragsbearbeitung Ausschuss Sozialversicherung udn Gesundheitspolitik

 

Die 163. Vollversammlung der Arbeiterkammer Wien möge beschließen:
Die Vollversammlung der AK Wien lehnt die von der Bundesregierung angestrebte Erschwerung des Zugangs zu den Pflegegeldstufen eins und zwei ab und fordert die Bundesregierung auf, für einen Ausbau des Angebots qualitätsvoller und professioneller mobiler Dienste zu sorgen und den Anreiz für pflegebedürftige Menschen, diese in Anspruch zu nehmen, zu erhöhen.

 


Mit einer derzeit (bis zum 4.11.) in Begutachtung befindlichen Gesetzesänderung will die Bundesregierung den Zugang zu den Pflegegeldstufen 1 und 2 deutlich erschweren. Die in den Erläuterungen zum Ministerialentwurf formulierte Begründung ist dabei an Absurdität kaum zu überbieten: „Durch die demografische Entwicklung und die steigende Lebenserwartung nimmt die Zahl der Menschen mit Pflegebedarf kontinuierlich zu. Aktuell haben 454.843 Personen (Stand August 2014) einen Anspruch auf Pflegegeld, was etwa 5,3 % der österreichischen Bevölkerung entspricht. Im Jahr 2012 wurde 61.840 und im Jahr 2013 insgesamt 67.485 Menschen ein Pflegegeld neu zuerkannt; im selben Zeitraum erfolgten 66.033 und 73.589 Erhöhungen des Pflegegeldes. Auch in den nächsten Jahren ist mit einer stetigen Zunahme der Anzahl der pflegebedürftigen Menschen zu rechnen.“
So weit der Befund zur Frage der Entwicklung der Pflegebedürftigkeit in den kommenden Jahren, dem an Klarheit – immer mehr Menschen werden pflegebedürftig werden – nichts hinzuzufügen ist. Interessant ist jedoch die Schlussfolgerung der Bundesregierung: „Als budgetbegleitende Maßnahme ist vorgesehen, die Zugangskriterien in den Pflegegeldstufen 1 und 2 dahingehend zu ändern, dass jenen Personen, die ab 1. Jänner 2015 einen Antrag auf Gewährung oder Erhöhung des Pflegegeldes stellen, bei Vorliegen der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen künftig ein Pflegegeld in Höhe der Stufe 1 bei einem durchschnittlichen monatlichen Pflegebedarf von mehr als 65 Stunden und ein Pflegegeld in Höhe der Stufe 2 bei einem durchschnittlichen monatlichen Pflegebedarf von mehr als 95 Stunden gewährt werden soll.“

Anders formuliert: Weil immer mehr Menschen pflegebedürftig werden, kürzen wir die Leistungen für diese Menschen. Dabei zahlen nicht nur jene Menschen drauf, denen das Pflegegeld gekürzt wird, sondern in der Konsequenz auch jene, die die Pflegeleistungen erbringen.

Lag die Voraussetzung für den Erhalt eines Pflegegelds der Stufe eins bis 2011 bei 50 Stunden Pflegebedarf im Monat, so soll sie nach Wunsch der Bundesregierung ab 1.1.2015 bei 65 Stunden und damit nur mehr knapp unter jenen 75 Stunden an Pflegebedarf, die bis 2011 den Zugang zur Pflegegeldstufe 2 eröffneten. Mit dem vorliegenden Ministerialentwurf wird also die Pflegestufe eins faktisch abgeschafft.

Besonders befremdlich an der beabsichtigten Gesetzesveränderung ist auch der Verweis der erläuternden Bemerkungen auf die geringe Inanspruchnahme von Sozialen Diensten durch BezieherInnen der Pflegegeldstufen eins und zwei: „Zusätzlich zu der großen Anzahl der Neuzuerkennungen und Erhöhungen des Pflegegeldes werden insbesondere in den unteren Pflegegeldstufen weniger oft professionelle Dienste in Anspruch genommen. Eine Sonderauswertung aus der Qualitätssicherung in der häuslichen Pflege ergab, dass im Zeitraum Jänner bis inklusive Mai 2014 in der Stufe 1 nur 12,98 % und in der Stufe 2 nur 19,68 % der PflegegeldbezieherInnen einen professionellen Dienst in Anspruch nahmen.
Einmal abgesehen davon, dass die Verwendung des Komparativ „weniger oft“ in einem unvollständigen Satz ohne Vergleichszahl in geradezu polemischer Art und Weise das Vorliegen einer förderungswürdigen Problemlage pauschal in Abrede stellt, fällt auf, dass die von der Bundesregierung vorgeschlagene Maßnahme in keiner Weise auch nur irgendwie geeignet ist, den angeführten Sachverhalt zu verändern: Die Inanspruchnahme qualitätsgesicherter und professioneller Dienstleistungen wird nicht steigen, weil die Bundesregierung  das Pflegegeld reduziert.

Die mit dem Ministerialentwurf vorgeschlagene Maßnahme steht somit auch im direkten Widerspruch zum Arbeitsprogramm der Bundesregierung Faymann II, in dem es heißt:
„Es gilt, den Betroffenen die Sicherheit zu geben, dass für die individuelle Pflegebedürftigkeit unabhängig von der sozialen Situation eine gute Pflege und Betreuung geboten werden. Die Wahlfreiheit des Pflegesettings, von der häuslichen Pflege durch Angehörige und professionelle Dienste, über betreute Wohnformen bis hin zu Pflegeheimen, muss bedarfsgerecht abgestufte Pflege- und Betreuungsangebote beinhalten. Der Verbleib in der gewohnten Umgebung ist bestmöglich zu fördern, um den Anteil der nicht-stationär betreuten PflegegeldbezieherInnen weiterhin über 80 % zu halten.“

Und weiter: „Der Pflegefonds setzt Schwerpunkte zum flächendeckenden Ausbau von mobilen Diensten und der Tagesbetreuung sowie Maßnahmen zur Beratung und Entlastung pflegender Angehöriger;“ (beide Zitat aus: Regierungsprogramm Faymann II, Wien 2013, 52)

Die von der Bundesregierung angestrebte Erschwerung des Zugangs zum Pflegegeld zielt weder auf eine Verbesserung der Situation der Betroffenen (ob zu Pflegende oder Pflegende) ab noch setzt sie in irgendeiner Form Anreize zur Inanspruchnahme professioneller Dienste. Unter dem Strich bleibt nichts übrig als eine Bestrafung der Menschen mit Pflegebedarf. Sie werden für die Wirtschaftskrise, die daraus folgenden niedrigeren Steuereinnahmen und damit dem Budgetdruck innerhalb des Sozialressorts bestraft.

Besonders befremdlich ist, dass die Bundesregierung davon ausgeht, dass die tatsächliche Pflegearbeit stillschweigend von Angehörigen der pflegebedürftigen Menschen erbracht wird, nachdem der Pflegebedarf ja nicht abgeschafft wird durch die Erschwerung des Zuganges zum Pflegegeld.

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