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Antrag 06 / Rechtsanspruch auf Ausbildung und Qualifikation

der AUGE/UG - Alternative und Grüne GewerkschafterInnen/Unabhängige GewerkschafterInnen
zur 165. Vollversammlung der Arbeiterkammer Wien am 22. Oktober 2015

 

Antrag mehrheitlich zugewiesen
ARGE, GLB, Türkis, Kom., BDFA: ja
ÖAAB, FA: nein
FSG, GA, Persp.: für Zuweisung

Antragsbearbeitung im Ausschuss Bildung und Kultur und im Ausschuss Arbeitsmarktangelegenheiten und Integration

 

Die 165. Vollversammlung der Arbeiterkammer Wien möge beschließen:

Die Vollversammlung der AK Wien tritt ein für die Schaffung
•    eines Rechtsanspruchs auf die notwendige Beratung und finanzielle Unterstützung zur Erreichung einer beruflich einsetzbaren Erstausbildung zuzüglich der notwendigen Voraussetzungen zum Besuch einer Hochschule,
•    eines Rechtsanspruchs auf Weiterbildung und Qualifikation in Phasen der Arbeitslosigkeit durch Schaffung eines Bildungskontos, dessen Mittel von den Menschen zur Absolvierung zertifizierter Fortbildungen mit zertifiziertem Abschluss nach freiem Ermessen eingesetzt werden können, sowie
•    einer vom AMS und KursanbieterInnen unabhängigen und den Interessen der KlientInnen verpflichtete Bildungs- und Qualifikationsberatung für erwerbsarbeitslose Menschen vorsieht.
Darüber hinaus ist vorzusehen, dass Personen, die einen Schulabschluss, eine beruflich einsetzbare Erstausbildung oder aber eine Weiterbildung bzw. Qualifikation im Rahmen des Qualifikationskontos absolvieren, im Bedarfsfall Mittel der Existenzsicherung aus den Mittel der passiven Arbeitsmarktpolitik erhalten und für den Zeitraum der Ausbildung oder Qualifikation im Bedarfsfall von den Zumutbarkeitsbestimmungen des AlVG ausgenommen sind.

 

Die Bundesregierung verspricht im Regierungsprogramm eine Ausbildungsverpflichtung. Dies bedingt automatisch einen Rechtsanspruch auf Ausbildung und Qualifikation für junge Menschen. Auch wenn einer Ausbildungsverpflichtung/einem Rechtsanspruch auf Ausbildung und Qualifikation für junge Menschen sinnvoll und begrüßenswert sein kann, so ist dies einerseits für sich allein weder eine hinreichende Antwort auf die uns beschäftigenden Arbeitsmarktprobleme noch verfassungskonform. Ein Rechtsanspruch auf Ausbildung lässt sich angesichts der großen Probleme von Menschen aller Altersgruppen ohne einsetzbare Berufsausbildung am Arbeitsmarkt nicht auf junge Menschen beschränken, ohne den Grundsatz der Gleichbehandlung zu verletzen. Der Anspruch auf Ausbildung und Qualifikation hat alle Menschen mit geringer Ausbildung und Problemen am Arbeitsmarkt – ungeachtet ihres Alters - zu umfassen.
Tatsache ist, dass Menschen ohne eine über einen Pflichtschulabschluss hinausgehende Ausbildung der mit Abstand höchsten Gefährdung durch Arbeitslosigkeit und Armut ausgesetzt sind. Aber auch Menschen mit Lehrabschluss ohne Zusatzqualifikationen, sind fast doppelt so stark von Arbeitslosigkeit bedroht wie Menschen mit höheren Abschlüssen.

Es muss daher ein entscheidendes Ziel der Arbeitsmarktpolitik sein, die Ausbildungs- und Qualifikationsdefizite von Menschen mit besonderem Arbeitslosigkeitsrisiko zu verringern, und dies geht nachhaltig nur mit der deutlichen Verbesserung der Ausbildungssituation und der Qualifikation der betroffenen Menschen.
Eine nachhaltige Ausbildungs- und Qualifikationsoffensive muss zumindest auf vier Beinen stehen, um nicht wackelig zu sein:

Erstes Standbein: Beratungsphase
Die Ausbildungs- und Qualifikationsstrategie umfasst einen Rechtsanspruch auf bildungs- und qualifikationsbezogene Beratung durch eine weisungsfreie, den KlientInnen verpflichtete Einrichtung, die selbst nicht Anbieterin von Bildungs- und Qualifikationsleistungen ist. Dies kann eine eigene, weisungsfrei gestellte Einheit des AMS sein, aber auch eine externe Einrichtung. Alle beim AMS als arbeitssuchend gemeldeten Personen haben das Recht der Inanspruchnahme dieser Beratungsleistung. Die ersten zwei Wochen einer Phase der Arbeitslosigkeit dienen nicht primär der Vermittlung, sondern der Beratung und Entscheidungsfindung hinsichtlich einer zusätzlichen Qualifikation. Während dieser zwei Wochen sind erwerbsarbeitslose Menschen nicht verpflichtet, Arbeitsangebote anzunehmen. Selbstverständlich können erwerbsarbeitslose Menschen auch in dieser Phase Zuweisungen des AMS oder eine Beschäftigung annehmen.

Zweites Standbein: Rechtsanspruch auf eine berufliche Erstausbildung
Jeder Mensch hat ein grundlegendes Recht auf eine beruflich einsetzbare Erstausbildung. Damit sind bestimmte Rechtsansprüche definiert, die unabdingbar sind und nicht unterschritten werden können. Dazu zählen etwa:
•    Der Anspruch auf einen Pflichtschulabschluss
•    Der Anspruch auf Überwindung von Schwächen beim sinnerfassenden Lesen oder fehlender Sprach- und Ausdruckskompetenz
•    Der Anspruch auf den Abschluss einer allgemeinbildenden bzw. berufsbildenden höheren Schule oder eines Lehrabschlusses und einer Berufsreifeprüfung/Studienberechtigung

Es ist Aufgabe der Politik, die Rahmenbedingungen zu schaffen, in der ein Mensch jenen Zugang zu Bildungseinrichtungen hat, die ihm letztlich die Erreichung eines der genannten Ziele ermöglichen. Es handelt sich hierbei nicht etwa um eine Garantie auf eine Matura, sondern um eine Garantie auf kostenfreien Zugang zu jenen Bildungseinrichtungen, deren Besuch notwendig ist, um das im Rechtsanspruch vorgegebene Ziel zu erreichen.
Die Verantwortung für die Umsetzung dieses Ziels liegt aber jedenfalls nicht beim AMS oder dem BMASK, sondern bei den für Schule bzw. Lehrausbildung zuständigen Einrichtungen.
Es ist gesetzlich dafür Sorge zu tragen, dass Menschen in bestimmten Lebenssituationen, die aus dem Vorhandensein von Ausbildungsdefiziten resultieren können (etwa Phasen der Arbeitslosigkeit oder des Mindestsicherungsbezugs) einen Rechtsanspruch auf Finanzierung einer Ausbildung und damit verbundener Existenzsicherung in Anspruch nehmen können.

Drittes Standbein: Rechtsanspruch auf Qualifikation – Bildungskonto
Jeder erwerbsarbeitslose Mensch hat Zugriff auf ein individuell einsetzbares Qualifikationskonto. Dabei erhält jeder erwerbsarbeitslose Mensch einen bestimmten Betrag auf dem fiktiven Konto, den er oder sie nach freiem Ermessen zur Qualifikation einsetzen kann. Dabei kann aus einer Liste entsprechend zertifizierter Bildungsmaßnahmen gewählt werden.

Zur Zertifizierung von Maßnahmen sind zumindest folgende Kriterien zu erfüllen:
•    Die Qualifikationsmaßnahme endet mit einem zertifizierten Abschluss (anerkanntes Zeugnis/Befähigungsnachweis)
•    Die Maßnahme kann inklusive Wartezeit innerhalb von drei Monaten abgeschlossen werden. Dies umfasst eine Beratungs- und Entscheidungsphase von zwei Wochen, eine Wartefrist bis Kursbeginn von höchstens einem Monat und eine Qualifikationsphase von bis zu sechs Wochen (das entspricht bei 5*6 Übungseinheiten pro Woche ein Höchstausmaß an Qualifikationsstunden von 180 Stunden)
•    Die Bildungsmaßnahme ist qualitätsgesichert (qualifiziertes Personal, Qualifikationsstandards, Schulungsunterlagen, gesicherte Räumlichkeiten,…)

Das AMS sichert für den Zeitraum der Inanspruchnahme des Qualifikationskontos die Existenzsicherung aus den sogenannten passiven Mitteln (ALG/NH). Die TeilnehmerInnen von Qualifikationsmaßnahmen unterliegen hierbei für diesen Zeitraum nicht den Zumutbarkeitsbestimmungen des AlVG.

Nicht vom Qualifikationskonto umfasst sind Neuausbildungen von Menschen, die über eine beruflich nicht mehr einsetzbare Ausbildung verfügen (etwa nach einem Unfall, einer Erkrankung etc.), da dies regelmäßig im Rahmen der beruflichen Rehabilitation durch die Unfallversicherung oder das Rehabilitationsverfahren des AMS erfolgt.

Standbein vier: Förderung der beruflichen Reintegration
Es gibt zahlreiche Einrichtungen und Angebote, die Menschen bei der beruflichen Reintegration auf sinnvolle Weise unterstützen. Dazu zählen etwa sehr viele Transitarbeitsplatzmodell, Sozialökonomische Projekte, aber auch Beschäftigungsförderungen im Sinne der bis 1995 erfolgreich und dann aus rein ideologischen Erwägungen beendeten experimentellen Arbeitsmarktpolitik, in deren Rahmen für neu geschaffene Jobs im öffentlichkeitsnahem und gemeinnützigen Bereich in Zukunftsbranchen (Bildung, Umwelt, Wissenschaft und Forschung, Kultur, Soziales, Gesundheit, Pflege und Betreuung,…) zwei Drittel der Lohnkosten übernommen werden. Arbeitssuchende Menschen, die diese Angebote nutzen wollen, haben – entsprechend Standbein eins – einen Rechtsanspruch auf eine zweiwöchigen Beratungs- und Entscheidungsphase sowie eine klientInnenorientierte Beratung durch eine weisungsfreie Einrichtung.

Der besondere Gewinn dieses Vorschlags gegenüber der derzeitigen Situation ist, dass er Einzelpersonen möglich macht, sich bewusst, gezielt, eigenverantwortlich und selbstbestimmt für Qualifikationsschritte zu entscheiden bzw. diese Schritte zu setzen. Werden keine Schritte gesetzt, so unterliegen diese Menschen den – durchaus dringend reformbedürftigen - Zumutbarkeitsbestimmungen des AlVG.

Hinsichtlich der Existenzsicherung entstehen keine zusätzlichen Kosten, da die angesprochene Personengruppe entweder ohnehin gerade im Leistungsbezug des AMS oder der Bedarfsorientierten Mindestsicherung steht oder aber auf Grund ihrer fehlenden Ausbildung und Qualifikation besonders häufig in Arbeitslosigkeit zurückfällt. Die Behebung von Ausbildungsdefizite entlastet somit zwar erst zukünftig das Budget des AMS, jedoch nachhaltig und dauerhaft.

Hinsichtlich der Finanzierung des Qualifikationskontos ist nicht damit zu rechnen, dass eine regelmäßige vollständige Ausnutzung des Kontos erfolgt. Dennoch ist klar, dass die derzeitigen Mittel für aktive AMP nicht ausreichen und zum Zweck der Überwindung der Wirtschafts- und Arbeitsmarktkrise zusätzliche Mittel eingesetzt werden müssen. Tatsache ist jedoch, dass eine Ausweitung der für Ausbildung und Qualifikation eingesetzten Mittel auch einen beschäftigungspolitischen Effekt haben und somit einerseits zur Stärkung der Binnennachfrage und andererseits zu erhöhten Steuer- und Beitragseinnahmen führen.

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